Verkehrssicherungspflicht des Arbeitgebers hinsichtlich Rutschgefahren im Herbst und Winter
Die Gewährleistung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten gehört zu den wichtigsten Pflichten von Arbeitgebern gegenüber der Belegschaft und ist im Arbeitsschutzgesetz manifestiert. Weil hierzu ganz klar auch Arbeitswege gehören, trifft Arbeitgeber im Winter eine Verkehrssicherungspflicht. Jedes Unternehmen ist demnach verpflichtet, Schnee und Eisglätte auf dem Firmengelände zu beseitigen, um ein sicheres Erreichen der Arbeitsstätte zu ermöglichen.
Dabei handelt es sich um dieselbe Verkehrssicherungspflicht nach § 823 BGB, die auch Gemeinden und Hauseigentümer im Winter erfüllen müssen. Deshalb gilt auch für das Firmengelände die Einschränkung „in angemessenem Umfang“. Es wird also nicht gefordert, dass jeder Nebeneingang geräumt und gestreut wird, sondern vielmehr, dass die wichtigen Lauf- und Fahrwege gefahrlos passierbar sind. Das betrifft insbesondere den Weg zwischen Parkplatz und Haupteingang (mit Rampen und Treppen) sowie den Parkplatz an sich. Was viele vergessen: Baustellen sind ebenfalls Arbeitsplätze, sodass der Arbeitgeber auch auf und um Baustellen seiner Verkehrssicherungspflicht im Winter nachkommen muss.
Wann muss der Arbeitgeber räumen und streuen?
Im Allgemeinen gilt die winterdienstliche Verkehrssicherungspflicht in den Monaten, in denen mit Schnee und Glätte zu rechnen ist, und dann ab 7 Uhr morgens bis 20 Uhr abends sowie nach jedem Schneefall. Der Gesetzgeber sieht jedoch vor, dass das Betriebsgelände eine Stunde vor Arbeitsbeginn geräumt und gestreut werden muss. Wenn die ersten Arbeitnehmer also um 6 Uhr morgens beginnen, muss der Winterdienst auf dem Betriebsgelände um 5 Uhr morgens erfolgen.
Gleichermaßen muss es den Beschäftigten möglich sein, den Arbeitsplatz sicher zu verlassen. Das heißt, dass auch für Mitarbeiter, die ihre Spätschicht um 22 Uhr beenden, jegliche Rutschgefahren im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beseitigt sein müssen.
In welcher Form der Arbeitgeber den Winterdienst organisiert, ist dabei ihm überlassen. Er hat die Möglichkeit, einen externen Dienstanbieter zu beauftragen, womit die Verkehrssicherungspflicht auf diesen übergeht. Oder aber intern den Winterdienst bereitzustellen, was eine höhere Flexibilität ermöglicht.
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Rutschgefahr aufgrund Beschaffenheit von Fußböden – gesetzliche Vorgaben
Die Vermeidung von Rutschgefahren ist aber nicht nur im Zusammenhang von Witterungsverhältnissen relevant. Arbeitgeber müssen auch dafür Sorge tragen, dass die Fußböden innerhalb des Betriebs so beschaffen sind, dass Rutschgefahren aufgrund von Ölen, Nässe etc. vermieden werden. Anforderungen für das Einrichten und Betreiben von Fußböden sind in der Technischen Regel für Arbeitsstätten ASR A1.5/1,2 „Fußböden“ konkretisiert, die sich wiederum auf § 3a der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), § 4 ArbStättV und im Besonderen auf Anhang 1.5 ArbStättV „Fußböden, Wände, Decken, Dächer“ bezieht.
Nach Anhang 1.5 ArbStättV müssen die Oberflächen der Fußböden
- den Erfordernissen des sicheren Betriebs entsprechen,
- leicht und sicher zu reinigen sein,
- keine Unebenheiten, Löcher, Stolperstellen oder gefährliche Schrägen aufweisen und
- gegen Verrutschen gesichert, tragfähig, trittsicher sowie rutschhemmend sein.
Neben den genannten Faktoren, die Sturzunfälle vermeiden sollen, müssen Fußböden ausreichend gegen Wärme und Kälte gedämmt sein und über eine Isolierung gegen Feuchtigkeit verfügen.
Hinweis: Die ASR A1.5/1,2 wurde im Februar 2019 an den Anhang 1.5 ArbStättV angepasst.
Weitere rechtliche Anforderungen bezüglich der Rutschgefahr ergeben sich aus dem DGUV-Regelwerk:
- DGUV Regel 108-003 „Fußböden in Arbeitsräumen und Arbeitsbereichen mit Rutschgefahr“
- DGUV Information 208-041 „Bewertung der Rutschgefahr unter Betriebsbedingungen“
- DGUV Information 208-007 „Roste – Auswahl und Betrieb“
- DGUV Information 208-008 „Montage“
- DGUV Information 207-006 „Bodenbeläge für nassbelastete Barfußbereiche“
Wo ist im Betrieb von Rutschgefahr auszugehen?
Im Innenbereich entstehen Rutschgefahren durch eine zu geringe Rutschhemmung der Fußbodenoberfläche. Das kann am Oberflächenmaterial liegen, an Ablagerungen auf der Oberfläche, aber auch am Verrutschen von Bodenbelägen. Konkrete Beispiele für Rutschgefahren im Innenbereich sind
- rutschige Trittflächen (ölige, fettige oder schmierige Verschmutzung),
- nasse Fußböden (im Nassbereich, ausgelaufene Flüssigkeiten, unzureichende Abflussmöglichkeiten),
- glatte Oberflächen (nach Reinigung oder Politur),
- leicht verschiebbare Auflagen (Teppiche, Matten, Roste),
- plötzliche Übergänge von Trittflächen, die eine unterschiedliche Oberflächenstruktur aufweisen,
- schiefe Oberflächen.
Ermittlung und Bewertung der Rutschgefahr
Im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung müssen Arbeitgeber die Rutschgefahren im Betrieb ermitteln und bewerten, um geeignete Sicherheitsmaßnahmen treffen zu können. Wichtigster Einflussfaktor für die Beurteilung der Rutschsicherheit ist die rutschhemmende Wirkung des Fußbodens.
Weitere entscheidende Faktoren für die Beurteilung der Rutschgefahr auf Fußböden sind:
- Zwischenmedium – Mittel zwischen Schuhsohle und Fußboden (Nässe, Gleitstoffe, Verschmutzung etc.)
- Schuhsohle – Härte und Elastizität der Sohle des Schuhwerks beeinflussen die Rutschfestigkeit. Das Schuhwerk sollte also an die Nutzung der Räumlichkeit angepasst sein. Profil, Rauigkeit und Elastizität der Schuhsohle sind entscheidend für die Rutschhemmung.
- Gehverhalten von Beschäftigten
Zur Ermittlung und Bewertung der Rutschgefahr sind u. a. heranzuziehen:
- Art, Eigenschaft, Menge und Häufigkeit des Auftretens gleitfördernder Stoffe
- bauliche verfahrenstechnische und organisatorische Randbedingungen
Hinweis: Für die Beurteilung von Rutschgefahren auf dem Betriebsgelände sind zuerst die Beschaffenheit des Fußbodens und anschließend der Mensch mit seinen Schuhen zu bewerten.
R-Gruppe als Maßstab für den Grad der Rutschhemmung
Für die Bewertung der Rutschhemmung werden sog. R-Gruppen (Bewertungsgruppen der Rutschgefahr) herangezogen. Diese erfolgt nach der DIN 51130 „Prüfung von Bodenbelägen – Bestimmung der rutschhemmenden Eigenschaft – Arbeitsräume und Arbeitsbereiche mit Rutschgefahr – Begehungsverfahren – Schiefe Ebene“. Bodenbeläge der Gruppe R 9 erfüllen dabei die geringsten, Bodenbeläge der Gruppe R 13 die höchsten Anforderungen an die Rutschhemmung.
Die R-Gruppen sind im Anhang 2 der ASR A1.5/1,2 für die verschiedenen Anwendungsgebiete aufgeführt. Dieser Anhang der ASR A1.5/1,2 ist identisch mit der DGUV Regel 108-003. Beide beschränken sich auf Arbeitsräume, Arbeitsbereiche und betriebliche Verkehrswege, deren Fußböden mit gleitfördernden Medien in Kontakt kommen und Rutschgefahr besteht. Auch die Kennzahlen für das Mindestvolumen des Verdrängungsraums ist im Anhang 2 der ASR A1.5/1,2 aufgeführt.
Ausgewählte Beispiele: Welche R-Gruppe für welchen Arbeitsraum?
Eingangsbereich innen | R 9 |
Treppe innen | R 9 |
Erste-Hilfe-Räume | R 9 |
Lagerkeller, Gärkeller | R 10 |
Kaffee- und Teeküchen | R 10 |
Verkaufsstellen für verpackte Waren | R 10 |
Verkaufsstellen für unverpackte Waren | R 11 |
Küchen für Gemeinschaftsverpflegung | R 11 |
Desinfektionsräume | R 11 |
Lagerräume für Öle und Fette | R 12 |
Härtereien | R 12 |
Arbeits- und Prüfgruben in Kfz-Betrieben | R 12 |
Mayonnaiseherstellung | R 13 |
Speiseölraffinerie | R 13 |
Schlachthaus | R 13 |
Die ASR A1.5/1,2 macht in ihrer Tabelle eine sehr übersichtliche Unterteilung je nach Arbeits-/Produktionsbereich und Branche.
Maßnahmen zur Erhöhung der Rutschsicherheit
Bei der Entscheidung für einen Fußbodenbelag oder bei der Sanierung von bestehendem Fußboden müssen Arbeitgeber bedenken, dass Fußböden nicht nur im trockenen Zustand, sondern bei jedweder vorgesehenen Nutzung sicher benutzbar sein müssen. Wie es im Arbeitsschutz üblich ist, muss auch die Auswahl der Maßnahmen zur Erhöhung der Rutschsicherheit nach der TOP-Hierarchie erfolgen. Das heißt: Zuerst sind technische, dann organisatorische und dann erst persönliche Schutzmaßnahmen gegen das Ausrutschen zu treffen. Eine Auswahl:
Technische Maßnahmen zur Reduzierung der Rutschgefahr:
- neuer rutschhemmender Bodenbelag
- Nachbehandlung des Bodenbelags
- rutschhemmende Matten
- Sauberlaufzonen
- Vermeidung von gleitfördernden Stoffen auf dem Fußboden (z. B. Überdachung im Außenbereich)
Organisatorische Maßnahmen zur Reduzierung der Rutschgefahr:
- bedacht organisierte Reinigung des Fußbodens mit geeigneten Reinigungsverfahren
- Vermeidung von gleitfördernden Stoffen auf dem Fußboden (bedachte Gestaltung von Arbeitsabläufen)
- Kontrolle der Rutschhemmung von Fußböden
Persönliche Schutzmaßnahmen gegen das Ausrutschen:
- Tragen von rutschhemmendem Schuhwerk
- regelmäßige Kontrolle des Schuhwerks
- regelmäßige Unterweisung der Beschäftigten zu Rutschgefahren auf dem Betriebsgelände
- regelmäßige Unterweisung des Reinigungspersonals
Rutschgefahr nicht beseitigt – Wer haftet bei Sturzunfall auf dem Betriebsgelände?
Kommt der Arbeitgeber weder seiner winterdienstlichen Verkehrssicherungspflicht nach, noch hält er die Anforderungen an rutschhemmende Fußböden ein, wird er bei einem Sturzunfall in die Haftung genommen. Verletzt sich der Arbeitnehmer, ist der Arbeitgeber zu Schadensersatzleistungen und zur Zahlung von Schmerzensgeld verpflichtet.
Quellen: „Die neue Arbeitsstättenverordnung“, ASR A1.5/1,2, DGUV 208-041, blog.seton.de