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"Gewalt in der Pflege: Beispiele, Prävention und rechtliche Grundlagen"


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Gewalt in der Pflege: Beispiele, Prävention und rechtliche Grundlagen

© Ocskay Mark – stock.adobe.com

Laut einer Befragung von stationären Einrichtungen in Hessen und Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2018 wendeten 72 % der Pflegekräfte in den letzten zwölf Monaten Gewalt gegenüber Pflegebedürftigen an. Doch auch die Häufigkeit von Gewalttaten gegen Pflegekräfte fällt ähnlich hoch aus – ein strukturelles Problem unseres Pflegesystems? In welchen Formen kommt es zu Gewalt in der Pflege und wie können sie vermieden werden?

Inhaltsverzeichnis

  1. Was ist Gewalt in der Pflege? – Definition und Beispiele
  2. Gewalt in der Pflege: rechtliche Grundlagen
  3. Wie häufig kommt es zu Gewalt in der Pflege? – Statistik
  4. Welche Ursachen führen zu Gewalt in der Pflege?
  5. Maßnahmen gegen Gewalt in der Pflege – akut und präventiv

Was ist Gewalt in der Pflege? – Definition und Beispiele

Als Gewalt in der Pflege werden alle Handlungen bezeichnet, bei denen eine Person gegenüber einer anderen im pflegerischen Kontext Willkür, Macht oder Disziplin ausübt. Die Gewalt kann dabei sowohl von den Pflegekräften als auch von den Pflegebedürftigen ausgehen und nicht nur zwischen Fachkraft und betreuter Person erfolgen, sondern auch innerhalb der Pflegebedürftigen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gewalt als tatsächlich oder angedroht absichtlichen Gebrauch von physischer oder psychischer Macht, wobei der Gebrauch gegen die eigene Person oder eine andere Person/Gruppe/Gemeinschaft gerichtet ist. Folgen dieser Gewalt seien laut WHO tatsächliche oder mit hoher Wahrscheinlichkeit Verletzungen, psychischen Schäden, Fehlentwicklungen, Deprivation oder der Tod.

Geht die Gewalt in der Pflege von einer einzelnen Person aus, spricht man von personaler Gewalt. Sie kann aktiv erfolgen (z. B. Misshandlung) oder passiv (z. B. Vernachlässigung). Wird die Gewalt von institutionellen oder gesellschaftlichen Strukturen bestimmt, handelt es sich um strukturelle Gewalt.

Typische Beispiele für Gewalt in der Pflege sind:

  • Verweigerung notwendiger pflegerischer Maßnahmen
  • Handlungen gegen den Willen der Pflegebedürftigen (freiheitsentziehende Maßnahmen)
  • bewusstes oder absichtliches Ignorieren von Bedürfnissen der Bedürftigen
  • verbale Attacken an die Betroffenen

Das, was ein Mensch als Gewalt empfindet, hängt von gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Einflüssen sowie persönlichen Erfahrungen ab. Gewalt tritt dabei in ganz unterschiedlichen Formen auf und ist manchmal von außen nicht direkt zu erkennen. So gibt es auch in der Pflege unterschiedliche Formen von Gewalt.

Welche Gewalt gibt es in der Pflege?

Gewalt in der Pflege kann sich auf verschiedenen Ebenen abspielen. Die folgende Tabelle liefert eine grundlegende Einteilung möglicher gewalttätiger Übergriffe in der Pflege.

Form der Gewalt in der Pflege Beispiele
Physische Gewalt
  • Schläge, Tritte, Kratzen oder andere körperliche Angriffe
  • nicht genehmigte freiheitsentziehende Maßnahmen
  • Tötung
Psychische Gewalt
  • Drohen, Anbrüllen, Beleidigen oder andere verbale Attacken
  • Missachten, Ignorieren oder anderweitig bewusst vernachlässigen
Kulturelle Gewalt
  • abwertende Meinung gegenüber alten oder pflegebedürftigen Personen
  • abwertende Haltung gegenüber der Religion oder Ideologie von Pflegebedürftigen
Sexuelle Gewalt
  • sexuelle Handlungen wie Berühren, Streicheln, Stimulieren oder Penetrieren
  • intime Körperpartien zeigen/betrachten oder Fotos/Videos davon anfertigen (sog. Hands-off-Delikte)
  • erotische verbale Ansprache/Komplimente
  • sexistisch oder sexuell entwertende Bemerkungen
Finanzielle Ausbeutung
  • unbefugt private Wertsachen entwenden
  • zu Geldgeschenken überreden oder nötigen

So umfangreich die möglichen Formen der Gewalt in der Pflege sind, so vielschichtig sind auch die rechtlichen Grundlagen. Worauf müssen Pflegekräfte und andere Verantwortliche in diesem Kontext achten?

Gewalt in der Pflege: rechtliche Grundlagen

Bei Gewalt in der Pflege sind verschiedenste rechtliche Aspekte zu beachten. Oftmals werden grundlegende Rechte der Pflegebedürftigen verletzt, etwa ihr Recht auf Selbstbestimmung oder ihr Recht auf Schutz vor körperlicher und psychischer Unversehrtheit. Gleichzeitig ist im Grundgesetz das Recht auf ein gewaltfreies Leben verankert.

Strafrechtlich können Pflegekräfte bei der Ausübung von Gewalt u. a. für folgende Punkte belangt werden:

  • einfache, gefährliche oder schwere Körperverletzung (§§ 223, 224 und 226 StGB)
  • Misshandlung Schutzbefohlener (§ 225 StGB)
  • Freiheitsberaubung (z. B. bei nicht genehmigten FEM) (§ 239 StGB)
  • Diebstahl, Raub (§§ 242, 249 StGB)
  • Totschlag (§ 212 StGB)

Welche Rechtsfolgen möglich sind, hängt vom jeweils vorliegenden Tatbestand und den dazugehörigen Umständen ab. Möglich sind z. B. Berufsverbote, Geldstrafen oder Freiheitsstrafen.

Gewalt in der Pflege melden

Besteht ein konkreter Verdacht auf Gewalt in der Pflege einer Person, sollte dies umgehend gemeldet werden – idealerweise der Heimleitung oder Pflegedienstleitung. Pflegekräfte sind dazu verpflichtet, solches Verhalten umgehend weiterzugeben.

Kann die Leitung nicht helfen oder wurde selbst verdächtigt, können folgende Stellen helfen:

  • Pflegekasse oder private Pflegeversicherung der pflegebedürftigen Person
  • Medizinischer Dienst (MD) oder Prüfdienst des Verbands der Privaten Krankenversicherung (PKV-Prüfdienst)
  • kommunale Beschwerdestellen (je nach Verfügbarkeit vor Ort)

Unabhängig davon kann auch die Polizei eingeschaltet werden, wenn z. B. Körperverletzungen beobachtet wurden. Ebenso bei Drohungen, Erpressung oder massiver Vernachlässigung kann die Polizei hinzugezogen werden (Notrufnummer: 110).

Pflegekräfte oder andere zuständige Stellen sollten darauf achten, alle Vorfälle genauestens zu dokumentieren. Das erleichtert ggf. die späteren Ermittlungen.

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Wie häufig kommt es zu Gewalt in der Pflege? – Statistik

Wie oft Gewalt in der Pflege in Deutschland zum Tragen kommt, ist nicht genau bekannt. Es gibt jedoch einige Befragungen und andere Untersuchungen, die etwas Klarheit schaffen wollen.

So kam z. B. eine Befragung des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) von 2017, die die Gewalt in der stationären Langzeitpflege untersuchte, zu folgenden Ergebnissen:

  • Die häufigsten Formen von Gewalt in der Pflege (mindestens einmal in den letzten zwölf Monaten):
    • verbale Aggresivität (80 % der Befragten)
    • Vernachlässigung (58 %)
    • körperliche Gewalt (46 %)
    • freiheitsentziehende Maßnahmen (34 %)
    • finanzieller Missbrauch (21 %)

In einer Studie des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e.V. (DIP) in Köln gab fast ein Drittel der befragten Beschäftigten an, dass bei ihnen Maßnahmen gegen den Willen von Pflegebedürftigen alltäglich sein. Zudem kann die Dunkelziffer bei solchen Untersuchungen noch größer sein.

Aber auch die Gewalt gegen Pflegekräfte fällt teilweise hoch aus. So ergab eine Befragung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), dass ca. 80 % der Pflegekräfte in den vergangen zwölf Monaten Gewalt erlebt hatten. Dies waren großteils verbale Gewaltformen (94 %) und körperliche Gewalterlebnisse (70 %) von Seiten der Pflegebedürftigen.

Somit ist das Thema Gewalt in der Pflege noch immer ein zentraler Bestandteil unseres Pflegesystems. Dem kann nur entgegengesteuert werden, wenn die dazugehörigen Ursachen ermittelt und bekämpft werden.

Welche Ursachen führen zu Gewalt in der Pflege?

Mögliche Ursachen von Gewalt in der Pflege sind sehr vielfältig, ergeben sich jedoch selten aus dem Nichts heraus. Meist wird der Ärger über eine längere Zeit angesammelt, bevor er sich plötzlich entlädt. Deshalb ist es wichtig, die Gesamtsituation zu erfassen, bevor ein Urteil gefällt wird.

In Pflegeeinrichtungen kann Gewalt von beiden Seiten ausgehen – vom Pflegepersonal und von den Pflegebedürftigen.

Ursachen für Gewalt, die vom Pflegepersonal ausgeht 

  • Eine pflegebedürftige Person legt ein besonders herausforderndes Verhalten an den Tag (z. B. bei Demenzkranken), was bei der Pflegekraft zu Stress führt, der wiederum eine affektive Handlung auslösen kann.
  • Permanente Überlastung (z. B. durch Personalmangel, Zeitdruck), die nicht verarbeitet wird, kann zum Verlust der Selbstkontrolle führen. 
  • Der Pflegekraft fehlen die notwendigen Kompetenzen, um mit bestimmten Pflegebedürftigen fachgerecht umzugehen.
  • Die Pflegekraft leidet unter einer psychischen Störung oder anderen Erkrankung, die ihre fachliche Eignung, Belastungsfähigkeit etc. beeinträchtigt.

Natürlich spielt auch die Ausbildung sowie die persönliche Verfassung eine entscheidende Rolle dabei, ob eine Pflegekraft gewalttätig wird oder nicht. Denn jede von ihnen hat in ihrem Leben bestimmte Verhaltensmuster erlernt, mit denen sie Problemen und Belastungen begegnet. Je nachdem neigen die Beschäftigten so mehr oder weniger zur Ausübung von Gewalt in der Pflege.

Ursachen von Gewalt, die von Pflegebedürftigen ausgeht 

  • Krankheitsbedingte kognitive Beeinträchtigungen (z. B. Veränderungen im Gehirn oder negative Effekte auf die Persönlichkeit durch Medikamente)
    → Das eigene Schicksal wird nicht akzeptiert
    → Es besteht ein Gefühl der Hilflosigkeit und Verlust der Selbstbestimmung.
  • eingeschränkte Handlungs- oder Kommunikationsfähigkeit
    → Bedürfnisse können nicht artikuliert oder Rechte nicht durchgesetzt werden.
  • Ärger darüber, dass bestimmte Bedürfnisse nicht befriedigt werden.

Ältere Menschen müssen mit der ungewohnten Umgebung und der Tatsache zurechtkommen, dass ihr Handlungsspielraum immer weiter eingeschränkt wird. Deshalb muss ihre Pflegekraft viel Empathie aufbringen, um diese Sorgen zu verstehen und besser nachvollziehen zu können, warum der oder die Pflegebedürftige herausfordernd oder gar gewalttätig reagiert. 

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Sind die Ursachen hinreichend bekannt, lässt sich im nächsten Schritt ermitteln, wie Pflegekräfte und andere Verantwortliche Gewalt in der Pflege vorbeugen können.

Maßnahmen gegen Gewalt in der Pflege – akut und präventiv

Es ist wichtig, das Thema Gewalt in der Pflege mit konkreten Maßnahmen anzupacken und nicht nur darüber zu sprechen. Solche Maßnahmen sollten möglichst deeskalierend und lösungsorientiert sein.

Der folgende Abschnitt zeigt beispielhafte Maßnahmen für akute Fälle und solche zur Prävention, um Gewalt in der Pflege vorzubeugen.

Präventionsmaßnahmen Akutmaßnahmen
  • Frustrationstoleranz und Kommunikationsfähigkeiten des Pflegepersonals stärken.
  • In einer Supervision oder einem Coaching können Pflegekräfte erlernen, das eigene berufliche Handeln zu hinterfragen und zu reflektieren. Darüber hinaus werden das eigene Selbstbewusstsein und die Selbstsicherheit gestärkt.
  • Weiterbildungen zur Gewaltprävention in der Pflege besuchen.
    → Fachwissen, etwa über Zwangsmaßnahmen oder die verschiedenen Alterserkrankungen und deren Symptome, ist die Grundlage dafür, Verständnis aufbringen zu können. So kann das Pflegepersonal empathisch auf herausforderndes Verhalten von Pflegebedürftigen reagieren und Lösungsansätze für das jeweilige Problem suchen.
  • Rollenspiele helfen dabei, zu erkennen, welche Emotionen bestimmte Situationen hervorrufen und wie man sich selbst wieder „herunterfährt“.
  • Regelmäßige Fallbesprechungen zum Verhalten einzelner Pflegebedürftiger ermöglichen es, Lösungsansätze und Maßnahmenpläne zu definieren. Müssen bestimmte Abläufe verändert werden? 
  • Nähe und Distanz wahren: Das Pflegepersonal wird mit „Sie“ angesprochen. Und auch die Pflegebedürftigen sollten nicht geduzt werden. So wird eine vertrauensvolle Umgebung geschaffen, die gleichzeitig eine professionelle Distanz behält.
  • Pflegebedürftige ansprechen, wenn sie sich plötzlich anders als sonst Verhalten – am besten unter vier Augen. Gab es kürzlich Vorfälle von Gewalt?
  • Alle Vorkommnisse und Beobachtungen dokumentieren. Das erleichtert ggf. das spätere Melden einer Tat.
  • Die Einrichtungs- bzw. Pflegeleitung über einen Verdacht informieren oder an eine andere höhere Instanz wenden und ggf. Beschwerde einreichen.
  • Falls es zu Verletzungen kam, sollte eine ärztliche Untersuchung erfolgen. In Frage kommen sowohl Hausarztpraxen als auch spezielle rechtsmedizinische Untersuchungsstellen. 
  • Bereits entstandene Konflikte durch eine Moderatorin bzw. einen Moderator begleiten lassen, welche die Parteien dazu ermutigen, den Konflikt gemeinsam zu analysieren und Lösungen zu finden. Die bzw. der Moderierende stellt die Kommunikationsregeln auf.
  • Kollegium: Dem Pflegepersonal sollte die Möglichkeit gegeben werden, in schwierigen Situationen eine andere Pflegekraft hinzuzurufen, um sich selbst zu beruhigen. 

Natürlich können auch drohende Sanktionen und arbeitsrechtliche Konsequenzen bewirken, dass Menschen nicht gewalttätig werden. Doch sollte dies im Hinblick auf die Ursachen für Gewalt die letzte Maßnahme sein. Vielmehr sollte die Einrichtungsleitung bewerten, ob z. B. Überbelastung die Ursache für Aggressivität ist, um dann dieses Problem anzupacken.

Quellen: „Pflege- und Expertenstandards auf CD-ROM“,  „Pflege und Beziehungsgestaltung bei Menschen mit Demenz“, pflege-gewalt.deMagazin ZQP diskurs 2022, ZQP-Report „Gewaltprävention in der Pflege

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