Ambulantisierung

14.04.2025 | T. Reddel – Online-Redaktion, FORUM VERLAG HERKERT GMBH

Ambulantisierung im Gesundheitswesen: Aktueller Stand, Gesetze und Herausforderungen

Die Ambulantisierung verändert die Gesundheitsversorgung in Deutschland. Krankenhäuser, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen stehen vor neuen Herausforderungen und Chancen. Für Ärztinnen und Ärzte sowie medizinisches Fachpersonal bedeutet dies grundlegende Veränderungen in Arbeitsabläufen, Vergütung und Versorgungsstrukturen. Hier ein aktueller Überblick.

Inhaltsverzeichnis

  1. Definition: Was bedeutet Ambulantisierung?
  2. Chancen und Risiken: Warum gibt es die Ambulantisierung?
  3. Aktueller Stand: Gesetze und Vorhaben
  4. Vergütung und Abrechnung

Definition: Was bedeutet Ambulantisierung?

Ambulantisierung beschreibt den Prozess, dass soziale und gesundheitliche Leistungen, die bisher stationär im Krankenhaus erbracht wurden, zunehmend ambulant durchgeführt werden. „Ambulant“ meint in diesem Kontext, dass die Versorgung nicht an einen festen Ort, wie etwa ein Krankenhaus, gebunden ist, sondern selbstorganisiert in den eigenen vier Wänden der Betroffenen erfolgt. Ebenso gehört die zunehmende Versorgung durch Angehörige, mit oder ohne Beteiligung ambulanter Dienste, dazu.

Diese Umstrukturierung soll die Gesundheitsversorgung effizienter und ressourcenschonender gestalten, aber auch die Bedürfnisse der zu Pflegenden stärker in den Mittelpunkt rücken.

Inhaltlich reicht die Ambulantisierung von der Behandlung akuter Erkrankungen über präventive Maßnahmen bis hin zur Nachsorge nach medizinischen Eingriffen. Sie betrifft neben Krankenhäusern auch ambulante Pflegedienste sowie Pflegeheime und andere Wohnkonzepte für Pflegebedürftige. Stationäres Wohnen steht hier für eine Rund-um-Versorgung in einer gesonderten Einrichtung, während ambulante Hilfen mehr Selbstbestimmung und Eigenständigkeit im eigenen Zuhause ermöglichen.

Chancen und Risiken: Warum gibt es die Ambulantisierung?

Mit der Ambulantisierung gehen viele Chancen einher, die das gesamte Gesundheitssystem entlasten können. Gleichzeitig bringt eine solch umfangreiche Umstrukturierung einige Herausforderungen mit sich. Die folgende Übersicht soll beide Aspekte gegenüberstellen.

Chancen Risiken
Die meisten Menschen möchten bei Pflegebedürftigkeit so lange wie möglich in der eigenen Wohnung leben.1
→ Ambulantisierung ermöglicht längeren Verbleib im eigenen Zuhause.
Umfangreichere Abrechnung für Dienstleistende: Leistungen werden aufgeteilt und einzeln mit der Pflegekasse abgerechnet.
Unterstützt die größtmögliche Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der zu Pflegenden. Bei der Umwandlung stationärer Einrichtungen in ambulante Pflegedienste sind teils erhebliche bauliche und/oder technische Anpassungen nötig.
Bei Eintritt einer höheren Pflegebedürftigkeit kann die Unterstützungsleistung schneller angepasst oder hinausgezögert werden. Höherer Verwaltungsaufwand durch Anpassung der Arbeitsabläufe, Veränderung von EDV und Umstellung auf Tourenpläne.
Kürzere Wartezeiten auf bestimmte Behandlungen möglich. Kein Anspruch auf Rundumversorgung für Betroffene, sondern Beschränkung auf fest definierte Leistungen.
Geringere Zuzalungen der Hilfeempfangenden im Vergleich zur stationären Versorgung. Risiko der Unterversorgung komplexer Fälle (da keine Rundumversorgung mehr).
Entlastung des stationärer Sektors durch weniger kostenintensive stationäre Versorgungsangebote.
→ Weniger Ausgaben für das Gesundheitswesen.
Höhere Belastung für pflegende Angehörige als bei stationärer Pflege.
Unter Umständen höherer Personalschlüssel als bei vollstationärer Pflege möglich. Möglicherweise teurere Gesamtkosten für Pflegebedürftige durch Zuzahlungen mehrerer Leistungen, die jeweils gesondert abzurechnen sind.
Förderung sektorenübergreifender Versorgungsmodelle. Geringere Mitwirkungsrechte der Bewohnerbeiräte durch die stärkere Trennung von Wohnen und Pflege.

1Quelle: TK-Meinungsplus 2018

Eine erfolgreiche Ambulantisierung setzt eine sorgfältige Planung voraus. Gleichzeitig benötigen Pflegedienste und andere Verantwortliche geeignete Rahmenbedingungen, um die Chancen der Ambulantisierung zu nutzen und die Risiken zu minimieren. Hier kommt es vor allem auf die gesetzlichen Regelungen an.

Aktueller Stand: Welche Gesetze und Vorhaben zur Ambulantisierung gibt es?

Unter dem Grundsatz „ambulant vor stationär“  versuchen Bundesregierung und Pflegeversicherung bereits seit den 1990er Jahren, die Ambulantisierung in Deutschland voranzutreiben. Hierzu gehören etwa die Anhebung der Leistungsbeiträge im häuslichen Bereich, der Anspruch auf Pflegeberatung (Fallmanagement), das Schaffen von Pflegestützpunkten  und die Verbesserung der Rahmenbedingungen für neue (ambulante) Wohnformen.

Hierzu trugen unter anderem folgende Gesetze und Vorhaben bei:

Hinzu kommen Untersuchungen wie das IGES-Gutachten nach § 115b SGB V aus dem Jahr 2022. Es identifiziert mögliche Potenziale für ambulante Leistungen im Krankenhaus. Dafür könnte der sogenannte AOP-Katalog um rund 2.500 ambulant durchführbare Operationen ergänzt werden. Dies entspräche einer Verdoppelung des bisherigen Leistungskatalogs.

Doch noch bis heute gibt es weitere ungenutzte Möglichkeiten, um die ambulante Versorgung zu optimieren. So kritisierte das Bundesgesundheitsministerium im Herbst 2024 die derzeitige Ambulantisierung als „schleppend“ und plant weitere Gesetzesänderungen, um deutlich mehr ambulante Operationen durchführen zu lassen.

Ein weiterer wichtiger Meilenstein könnte die Entbudgetierung der Hausarztpraxen ab Herbst 2025 sein. Hier werden die Praxen von Budgetdeckeln befreit, was die ambulante Versorgung stärken und die Verlagerung von Leistungen in den ambulanten Sektor zusätzlich fördern soll. Nach der Auflösung der Ampel-Koalition bleiben die nächsten Neuerungen jedoch vorerst abzuwarten.

#SLIDER Bereiten Sie sich jetzt schon jetzt auf die weitere Ambulantisierung vor und passen Sie Ihr Leistungsangebot optimal an!

Vergütung und Abrechnung im Rahmen der Ambulantisierung

Die Vergütung und Abrechnung der ambulant erbrachten Leistungen unterscheidet sich zum Teil noch von den stationären Leistungen. Grundsätzlich erfolgt die Abrechnung über etablierte Systeme wie den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte oder über die Kassenärztlichen Vereinigungen. Neue Leistungen können extrabudgetär vergütet werden, um Innovationen zu fördern.

Produktempfehlung

Unterstützung bei der Abrechnung bieten die Software-Lösungen „Der neue Hausarzt-EBM“ und „Der neue Facharzt-EBM“. Sie enthalten die wichtigsten Abrechnungsziffern inklusive praktischer Tipps zur Honorierung und Praxisführung. Jetzt informieren!

Weitere Besonderheiten und Neuerungen bei der Vergütung und Abrechnung ambulanter Leistungen ergeben sich unter anderem durch:

AOP-Katalog und Hybrid-DRG

Die grundlegende Vergütung ambulanter Operationen erfolgt in Deutschland über den AOP-Katalog (Ambulantes Operieren). Dieser Katalog wird kontinuierlich erweitert, um mehr Eingriffe ambulant durchführen zu können. Die Abrechnung erfolgt nach dem EBM für gesetzlich Versicherte.

Daneben gibt es die Hybrid-DRG. Die erstmals 2024 eingeführten Eingriffe werden ambulant wie stationär gleich vergütet. Das soll Leistungserbringenden finanzielle Anreize schaffen, mehr Leistungen im ambulanten Bereich anzubieten.

Vorhaltepauschalen durch Krankenhausreform

Mit dem im Dezember 2024 in Kraft getretenen Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) sollen Krankenhäuser künftig sogenannte Vorhaltepauschalen erhalten. Sie sollen die Krankenhäuser für die Bereitstellung bestimmter Leistungen finanziell absichern – unabhängig von der tatsächlichen Fallzahl. Das ermöglicht es den Krankenhäusern, auch bei sinkenden stationären Fallzahlen aufgrund der Ambulantisierung ihre Infrastruktur und personellen Ressourcen aufrechtzuerhalten.

Allerdings gibt es Kritik an der aktuellen Ausgestaltung der Vorhaltepauschalen: So weist eine Analyse der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) darauf hin, dass die Vorhaltefinanzierung bei allgemein sinkenden Patientenzahlen nicht ausreiche, um die Strukturkosten der Krankenhäuser zu decken. Gerade kleinere Kliniken könnten dadurch in ihrer Existenz gefährdet sein.


Fazit: Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Krankenhausreform mit ihren Vorhaltepauschalen, aber auch die Hybrid-DRG und alle anderen Vorhaben dazu beitragen, die Ambulantisierung langfristig voranzutreiben. Des Weiteren befindet sich die genaue Ausgestaltung der Vergütungssysteme teils noch in der Entwicklung. Hier besteht die Herausforderung, eine faire und kostendeckende Vergütung für alle Leistungserbringenden sicherzustellen.​

Quelle: „Praxishandbuch Pflegestärkungsgesetz“

Mehr zu den Themen: Abrechnung Ambulantisierung EBM

Leider gibt es aktuell keine Beiträge in dieser Kategorie
zurück