Pflichtenübertragung im Arbeitsschutz: So delegieren Sie Verantwortung rechtssicher an Führungskräfte
09.12.2025 | S. Horsch – Online-Redaktion, FORUM VERLAG HERKERT GMBH
Die Pflichtenübertragung ist ein zentrales Instrument zur Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes. In größeren Unternehmen kann der Unternehmer unmöglich alle Pflichten persönlich wahrnehmen – hier ermöglicht die Delegation von Unternehmerpflichten an Führungskräfte eine effiziente und rechtssichere Organisation. Doch wer haftet bei einer Pflichtenübertragung? Ist sie Pflicht? Und welche Nachteile kann die Übertragung von Unternehmerpflichten mit sich bringen?
Inhaltsverzeichnis
- Rechtliche Grundlagen der Pflichtenübertragung
- Wer haftet bei einer Pflichtenübertragung?
- Ist eine Pflichtenübertragung Pflicht?
- Rechtssichere Dokumentation der Pflichtenübertragung
- FAQ: häufige Fragen zur Pflichtenübertragung
- Pflichtenübertragung: Fazit und Ausblick
Rechtliche Grundlagen der Pflichtenübertragung
Paragraph 13 Abs. 1 ArbSchG regelt, dass für die Erfüllung der arbeitsschutzrechtlichen Pflichten grundsätzlich der Arbeitgeber sowie weitere dort aufgeführte Leitungspersonen verantwortlich sind. Die (auch teilweise) Übertragung der Unternehmer- beziehungsweise Arbeitgeberpflichten ist in verschiedenen Vorschriften vorgesehen.
Möglichkeit der Pflichtenübertragung Arbeitsschutz
Nach § 13 Abs. 2 ArbSchG kann der Arbeitgeber zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihm obliegende Aufgaben im Bereich des Arbeitsschutzes in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Dadurch kann die Verantwortung für Teilbereiche wirksam auf entsprechend qualifizierte Personen delegiert werden.
Europarechtliche Vorgaben
Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 89/391/EWG muss der Arbeitgeber einen oder mehrere Arbeitnehmer benennen, die er mit Schutzmaßnahmen und mit Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren beauftragt.
→ Reichen die personellen Möglichkeiten im Unternehmen dafür nicht aus, ist der Arbeitgeber gemäß Art. 7 Abs. 3 verpflichtet, außerbetriebliche Fachleute hinzuzuziehen.
Informationspflicht bei externer Beauftragung
Zieht der Arbeitgeber externe Fachleute hinzu, so hat er sie nach Art. 7 Abs. 4 Richtlinie 89/391/EWG über alle bekannten oder vermuteten Faktoren zu unterrichten, die Auswirkungen auf die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer haben können.
Pflichtenübertragung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
Auch im Strafrecht (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB) und im Ordnungswidrigkeitenrecht findet sich eine vergleichbare Regelung: Die Verantwortung kann übertragen werden, wenn eine schriftliche Beauftragung nach § 13 Abs. 2 ArbSchG erfolgt.
Regelung in der Unfallverhütungsvorschrift
Paragraph 13 der Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (DGUV Vorschrift 1 früher BGV A1) enthält dazu detaillierte Vorgaben. Der Unternehmer kann zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihm nach Unfallverhütungsvorschriften obliegende Aufgaben eigenverantwortlich wahrzunehmen. Die Beauftragung muss den Verantwortungsbereich und die Befugnisse klar festlegen, vom Beauftragten unterzeichnet und ihm ausgehändigt werden.Wer haftet bei einer Pflichtenübertragung?
Nach einer wirksamen Pflichtenübertragung Arbeitsschutz übernimmt die beauftragte Führungskraft die Verantwortung für den übertragenen Bereich. Bei einem Arbeitsunfall, der auf Organisationsverschulden zurückzuführen ist – etwa eine nicht durchgeführte Unterweisung – haftet die jeweils verantwortliche Person.
Der Unternehmer behält jedoch die Gesamtverantwortung und trägt weiterhin die Auswahl-, Aufsichts- und Kontrollpflicht. Er muss regelmäßig überprüfen, ob die beauftragten Personen ihre Pflichten erfüllen. Bei mangelhafter Auswahl der beauftragten Person oder unzureichender Kontrolle kann dem Unternehmer ein Organisationsverschulden vorgeworfen werden.
Die Haftung kann verschiedene Formen annehmen:
- strafrechtlich (zum Beispiel Freiheitsstrafe bei Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung),
- zivilrechtlich (Schadensersatz),
- im Ordnungswidrigkeitenrecht (Bußgelder) oder
- arbeitsrechtlich (Abmahnung, Kündigung).
Ist eine Pflichtenübertragung Pflicht?
Eine Pflichtenübertragung im Arbeitsschutz ist nicht generell verpflichtend. In kleineren Betrieben kann der Unternehmer die Arbeitsschutzpflichten selbst wahrnehmen. Ab einer gewissen Betriebsgröße ist sie jedoch faktisch unverzichtbar, um eine ordnungsgemäße Organisation des Arbeitsschutzes zu gewährleisten. Paragraph 3 Abs. 2 ArbSchG fordert, dass der Arbeitgeber den Arbeitsschutz entsprechend der Organisationsstruktur des Unternehmens organisieren muss. Falls der Arbeitgeber nicht über die erforderliche Fachkunde verfügt, ist er verpflichtet, entsprechend qualifizierte interne oder externe Fachleute zu beauftragen (vgl. Art. 7 Richtlinie 89/391/EWG).
Pflichtenübertragung und Beauftragung im Sinne des OWiG
Zieht der Arbeitgeber außerbetriebliche Fachleute hinzu, so hat er nach Art. 7 Abs. 4 Richtlinie 89/391/EWG die betreffenden Personen oder Dienste über diejenigen Faktoren zu unterrichten, von denen bekannt ist oder vermutet wird, dass sie Auswirkungen auf die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer haben.
Für das Strafrecht findet sich eine vergleichbare Vorschrift in Paragraph 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Nach § 13 Abs. 2 ArbSchG hat eine schriftliche Beauftragung zu erfolgen.
Im Sinne der UVV
Eine noch ausführlichere Vorgabe enthält Paragraph 13 der Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (BGV A1). Diese Vorschrift wurde durch den Unfallversicherungsträger nach Paragraph 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII erlassen. Nach dieser Vorschrift kann der Unternehmer zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihm nach Unfallverhütungsvorschriften obliegende Aufgaben in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Die Beauftragung muss den Verantwortungsbereich und die Befugnisse festlegen und ist vom Beauftragten zu unterzeichnen. Eine Ausfertigung der Beauftragung ist ihm auszuhändigen.
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Rechtssichere Dokumentation der Pflichtenübertragung
Allein aus Gründen der Rechtssicherheit und Dokumentation der Pflichtenübertragung ist die vorgenannte ausführliche schriftliche Beauftragung zwingend (vgl. hierzu auch BGI 508 „Übertragung von Unternehmerpflichten“). Aus der Formulierung in Paragraph 9 Abs. 2 Nr. 2 OWiG, dass der Bevollmächtigte ausdrücklich beauftragt sein soll, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, folge nach BGI 508, dass dem Beauftragten die erforderliche Entscheidungsbefugnis und Vollmacht eingeräumt werden müsse, in dem übertragenen Pflichtenrahmen selbstständig mit verbindlicher Wirkung für den Unternehmer zu handeln.
Soweit im Einzelfall zur Durchführung der übertragenen Pflichten finanzielle Entscheidungen erforderlich würden, müsse dem Beauftragten die Verfügungsbefugnis über Geldmittel eingeräumt werden. Schließlich müsse die Übertragung im Rahmen des Sozialadäquaten liegen, das heißt im Rahmen dessen, was bei der Aufteilung von Aufgaben und Pflichten in der modernen arbeitszeitigen Wirtschaft allgemein üblich sei.
Verfügungsbefugnis über Geldmittel
Die Pflichtenübertragung hat zur Folge, dass der Beauftragte in seiner Verantwortlichkeit neben den Unternehmer tritt. Der Unternehmer ist nicht vollständig von der Haftung freigestellt. Nach Paragraph 130 OWiG haftet der Unternehmer – auch nach wirksamer Pflichtenübertragung – für eine „gehörige Aufsicht“. Zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen gehören nach Paragraph 130 Abs. 1 Satz 2 OWiG auch die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen.
FAQ: häufige Fragen zur Pflichtenübertragung
1. Welche Vorschriften gibt es im Paragraph 13 DGUV zur Pflichtenübertragung?
Gemäß Paragraph 13 DGUV Vorschrift 1 kann der Unternehmer zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihm nach Unfallverhütungsvorschriften obliegende Aufgaben in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Die Beauftragung muss den Verantwortungsbereich und Befugnisse festlegen und ist vom Beauftragten zu unterzeichnen. Eine Ausfertigung der Beauftragung ist ihm auszuhändigen.
Fachkundig sind Personen, wenn sie über einschlägiges Fachwissen und praktische Erfahrung verfügen, um die übertragenen Aufgaben sachgerecht auszuführen. Zuverlässig bedeutet, dass die Person aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaften und ihres Verhaltens geeignet ist, die Aufgaben gewissenhaft wahrzunehmen und die notwendige Durchsetzungskraft besitzt.
2. Kann ich die Pflichtenübertragung ablehnen?
Eine Pflichtenübertragung im Arbeitsschutz können Beschäftigte nur in bestimmten Konstellationen wirksam ablehnen, etwa wenn sie fachlich nicht geeignet sind oder die übertragenen Aufgaben den vereinbarten Arbeitsvertrag deutlich überschreiten. Häufig ist die Übertragung aber Bestandteil der Führungsfunktion, sodass eine generelle Weigerung arbeitsrechtliche Konsequenzen haben kann.
Wann Ablehnung möglich ist
Beschäftigte können die Übernahme von Pflichten vor allem dann zurückweisen, wenn
- die verlangten Aufgaben nicht ihrer Qualifikation oder fachlichen Befähigung entsprechen (zum Beispiel fehlende Kenntnisse, fehlende Führungserfahrung).
- die zusätzlichen Pflichten den Rahmen des bestehenden Arbeitsvertrags deutlich überschreiten, also neue, bisher nicht geschuldete Aufgaben darstellen.
- Fehlt es zum Beispiel an ausreichender Weisungs‑ und Entscheidungskompetenz oder an notwendigen Ressourcen, ist eine wirksame Pflichtenübertragung ohnehin zweifelhaft, was eine Ablehnung stützt.
Wann Ablehnung schwierig ist
Bei Führungskräften gehört die Wahrnehmung von Arbeitsschutzpflichten in der Regel zum Kern der Leitungsfunktion, auch ohne gesonderte Vereinbarung. Wer Vorgesetztenfunktion übernimmt, muss grundsätzlich auch Verantwortung tragen; eine pauschale Verweigerung der Pflichtenübernahme kann daher als Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten gewertet werden und disziplinarische Folgen haben.
3. Welche Aufgaben können übertragen werden?
Im Rahmen der Pflichtenübertragung können an Führungskräfte und andere Mitarbeitenden folgende Aufgaben delegiert werden:
Gefährdungsbeurteilung erstellen und fortschreiben, Schutzmaßnahmen implementieren, Mitarbeiter in sicheren Arbeitsweisen unterweisen, persönliche Schutzausrüstung beschaffen und deren Verwendung kontrollieren, arbeitsmedizinische Vorsorge organisieren, Notfallorganisation wie Erste Hilfe und Brandschutz sicherstellen sowie mit der Fachkraft für Arbeitssicherheit und dem Betriebsarzt zusammenarbeiten.
Die Übertragung muss dabei im Einklang mit dem Arbeitsvertrag stehen und darf nur dann erfolgen, wenn die Person auch tatsächlich die erforderlichen Kompetenzen hat. Bei der Beauftragung von Vorgesetzten ist zu beachten, dass diese häufig bereits aufgrund ihrer Stellung bestimmte Verantwortung im Arbeitsschutz tragen.
4. Wer darf Unternehmerpflichten übernehmen?
Im elektrotechnischen Betriebsteil sollten zum Beispiel generell bei der Auswahl von Personen, denen Aufgaben übertragen werden, folgende Aspekte berücksichtigt werden:
- Liegt die übertragene Aufgabe im Bereich des Sozialadäquaten (das heißt im Bereich dessen, was üblicherweise zum Qualifikations- und Tätigkeitsprofil der betrachteten Person gehört)?
- Ist die Person fachlich geeignet (verfügt sie über ausreichende aktuelle Kenntnisse und Erfahrungen)?
- Ist die Person persönlich geeignet (zuverlässig, führungskompetent, eigenverantwortlich etc.)?
- Können sich aufgrund ihrer Stellung beziehungsweise ihrer Zuordnung im Unternehmen vielleicht Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben ergeben (Stichwort „Kompetenzgerangel“)?
- Liegen sonstige Gründe vor, die gegen eine Beauftragung sprechen (mangelnde Führungsqualitäten, persönliche Einschränkungen in Bezug auf bestimmte Aufgaben, zum Beispiel Ängste, Hemmnisse etc.)?
5. Welche Nachteile hat die Übertragung von Unternehmerpflichten?
Die Pflichtenübertragung bringt auch Herausforderungen mit sich:
Führungskräfte übernehmen eine erhöhte persönliche Haftung für den übertragenen Bereich. Die Einwilligung der beauftragten Person ist erforderlich – eine einseitige Anordnung gegen den Willen des Mitarbeitenden ist nicht zulässig. Bei unklarer oder unvollständiger Delegation können Verantwortungslücken entstehen. Der administrative Aufwand für schriftliche Dokumentation, Schulungen und regelmäßige Kontrollen ist erheblich. Führungskräfte benötigen ausreichende Befugnisse und finanzielle Mittel, um ihre Aufgaben erfüllen zu können.
Pflichtenübertragung: Fazit und Ausblick
Die Pflichtenübertragung ist ein unverzichtbares Instrument zur effizienten Organisation von Arbeitssicherheit in größeren Unternehmen. Sie muss schriftlich erfolgen, klare Verantwortungsbereiche definieren und mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet sein. Muster für Pflichtenübertragungen finden sich in der DGUV Regel 100-001 und können als Grundlage verwendet werden.
Entscheidend ist: Die beauftragte Person muss fachkundig sein, regelmäßig geschult werden und über die notwendigen Handlungskompetenzen verfügen. Der Unternehmer behält dabei stets seine Aufsichts- und Kontrollpflicht und trägt die Gesamtverantwortung für die Organisation. Eine sorgfältige Dokumentation im Rahmen eines ganzheitlichen Compliance-Managements sichert alle Beteiligten ab und minimiert Haftungsrisiken.
Quellen: Berufsgenossenschaft Holz und Metall; „Sicherheitshandbuch Brandschutz“; „Sicherheitshandbuch Elektrosicherheit“