Inhaltsverzeichnis
- Was ist die Leitmerkmalmethode? – Definition
- Welche Leitmerkmalmethoden gibt es?
- Wie funktioniert die Leitmerkmalmethode?
- Wann sollte man Leitmerkmalmethoden nutzen?
- Warum sind Leitmerkmalmethoden sinnvoll?
- Wer führt die Leitmerkmalmethode durch?
Was ist die Leitmerkmalmethode? – Definition
Die Leitmerkmalmethode ist eine Ermittlungshilfe zur Beurteilung der körperlichen Belastung einer Person bei bestimmten Arbeiten. Sie gehört zu den sog. Screening-Methoden und gilt als etabliertes Beurteilungsverfahren zur Einschätzung der Belastungshöhe auf den Körper. Außerdem lässt sich mit ihr ermitteln, ob und welche Schutzmaßnahmen der Arbeitgeber ergreifen muss, um die körperliche Gesundheit seiner Beschäftigten zu schützen.
Als Grundannahme bei der Leitmerkmalmethode gilt, dass sich körperliche Arbeiten unterschiedlich stark auf verschiedene Bereiche des Körpers auswirken (Muskeln, Gelenke, Wirbelsäule usw.). Diese Lastenhandhabung wird wiederum von verschiedenen Faktoren wie Dauer und Häufigkeit der Arbeiten beeinflusst. Eine zu große Belastung führt zu Beschwerden im Muskel-Skelett-System, die bekannterweise zu den häufigsten Gründen für Arbeitsunfälle und -ausfälle in Deutschland zählen.
Insgesamt gibt es nicht nur eine einzelne Leitmerkmalmethode, sondern je nach Art der körperlichen Belastung mehrere Ansätze.
Welche Leitmerkmalmethoden gibt es?
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) definiert sechs unterschiedliche Leitmerkmalmethoden. Sie wurden zuletzt im Jahr 2019 von der BAuA aktualisiert und behandeln je eine Belastungsart.
Somit gibt es derzeit Leitmerkmalmethoden zu folgenden Bereichen:
Belastungsart | Definition | Beispielhafte Tätigkeiten |
Halten, Heben und Tragen | Belastung durch Bewegen von Gegenständen, Personen oder Tieren. Neben dem Heben und Tragen gehört auch das Senken und Umsetzen zu dieser Belastungsart. |
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Schieben und Ziehen | Wegdrücken der Last vom Körper = Schieben, Kraftausübung über die Arme zum Körper hin = Ziehen. | Bewegen von Wägen, Rollern, Schub- oder Sandkarren, Müllbehältern, Krankenhausbetten etc. |
Manuelle Arbeitsprozesse | Arbeiten, die meistens im Sitzen oder Stehen ausgeführt werden, aber oftmals kleinere Werkzeuge/Gegenstände beinhalten. Es ist nicht immer eine Abgrenzung zu anderen Belastungsarten möglich. |
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Ganzkörperkräfte | Arbeit, bei der hohe Kräfte aufgebracht werden müssen. |
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Körperfortbewegung | Bewegung zu einem Arbeitsort oder innerhalb eines Arbeitsbereichs, z. B.:
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Körperzwangshaltung | Körperliche Haltung, die nur zeitlich begrenzt eingenommen werden kann, z. B.:
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Für all diese Bereiche gibt es je eine Leitmerkmalmethode, die von der BAuA empfohlen wird. Aber wie funktionieren sie in der Praxis?
Wie funktioniert die Leitmerkmalmethode?
Arbeitgeber und Sicherheitsverantwortliche können die Leitmerkmalmethoden wie eine Art Formular oder Formblatt ausfüllen. Sie dient als Rechenhilfe zur Bestimmung, Berechnung und Beurteilung der körperlichen Arbeiten. Dabei prüft die verantwortliche Person, welche Arbeiten wie oft für wie lange ausgeübt werden. Damit ergeben sich entweder mehr oder weniger Punkte, die am Ende zusammengerechnet und in einer Skala von geringer bis hoher Belastung eingeordnet werden.
Grundsätzlich sind alle Leitmerkmalmethoden gleich aufgebaut:
1. Schritt: Bestimmung der Zeitgewichtung
Zuerst wird die Häufigkeit der untersuchten Arbeiten ermittelt. Je nach Leitmerkmalmethode ist dabei entweder die Summe oder Gesamtdauer der Tätigkeit wichtig. So ergibt sich ein konkreter Wert für die Zeitgewichtung, wie hier am Beispiel der Leitmerkmalmethode „Körperzwangshaltung“:
Gesamtdauer der Tätigkeit pro Arbeitstag (bis ... Stunden) | bis 1 h | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
Zeitgewichtung: | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
2. Schritt: Bestimmung der Gewichtung der weiteren Merkmale
Hier werden abhängig von der Leitmerkmalmethode verschiedene Aspekte der jeweiligen Belastungsart aufgeführt. Sie werden in Relation zum vorher ermittelten Zeitanteil gestellt und ergeben daraus unterschiedlich hohe Punkte. Gelegentlich ausgeführte Tätigkeiten ergeben weniger, häufig ausgeführte sorgen für mehr Punkte.
Am Ende werden die gesammelten Punkte der Lastenhandhabungen ggf. noch mit Zusatzbelastungen addiert. Daraus ergibt sich eine Gesamtsumme an Merkmalsgewichtungen.
3. Schritt: Bewertung und Beurteilung
Im letzten Schritt wird die Summe aller Merkmalsgewichtungen aus dem 2. Schritt zusammengetragen und mit der Zeitgewichtung aus dem 1. Schritt multipliziert. Je nach Leitmerkmalmethode muss dieses Ergebnis ggf. noch mit 1,3 multipliziert werden, falls Frauen diese Tätigkeit ausführen (da der weibliche Körper oftmals weniger Lasten aushält als der männliche Körper).
So ergibt sich folgende Formel:
Zeitgewichtung x Summe der Merkmalsgewichtungen (x 1,3) = Punktzahl für Risikobereich
Das daraus resultierende Endergebnis dient der finalen Beurteilung der vorliegenden Lasten im Betrieb. Je nach Höhe der Gesamtpunktzahl steigt die Wahrscheinlichkeit für körperliche Überbeanspruchung und der Arbeitgeber muss weitere bzw. geeignete Schutzmaßnahmen bestimmen.
Risiko | Risikobereich | Belastungshöhe | a) Wahrscheinlichkeit körperlicher Überbeanspruchung b) Mögliche gesundheitliche Folgen | Maßnahmen |
1 | < 20 Punkte | gering | a) Körperliche Überbeanspruchung ist unwahrscheinlich. b) Keine Gesundheitsgefährdungen zu erwarten. | keine |
2 | 20 - 49 Punkte | mäßig erhöht | a) Ist bei vermindert belastbaren Personen möglich. b) Ermüdung + geringfügige Anpassungsbeschwerden, die in der Freizeit kompensiert werden können. | Für weniger belastbare Personen sind Maßnahmen zur Gestaltung von Belastungen und sonstige Präventionsmaßnahmen sinnvoll. |
3 | 50 - 99 Punkte | wesentlich erhöht | a) Ist auch für normal belastbare Personen möglich. b) Schmerzen ggf. mit Funktionsstörungen, meistens reversibel, ohne sichtbare äußerliche Veränderungen | Maßnahmen zur Gestaltung und sonstige Präventionsmaßnahmen müssen geprüft werden. |
4 | ≥ 100 Punkte | hoch | a) Hohe Wahrscheinlichkeit. b) Stärker ausgeprägte Beschwerden und/oder Funktionsstörungen sowie Strukturschäden mit Krankheitswert. | Es müssen Maßnahmen zur Gestaltung getroffen und sonstige Präventionsmaßnahmen geprüft werden. |
Hinweis: Die einzelnen Risikobereiche lassen sich in der Praxis oftmals nicht so deutlich voneinander trennen wie hier in der Tabelle. Vielmehr sind die Übergänge fließend, da das Risiko je nach Arbeitstechnik und Leistungsvoraussetzungen unterschiedlich ausfallen kann. Daher dient die Einteilung im Rahmen der Leitmerkmalmethoden lediglich als Orientierungshilfe.
Wann sollte man Leitmerkmalmethoden nutzen?
Leitmerkmalmethoden helfen Arbeitgebern immer dann, wenn sie die aktuellen Arbeitsbedingungen und Gefährdungen am Arbeitsplatz überprüfen müssen – beispielsweise im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung. Diese muss zu folgenden Zeitpunkten erstellt werden:
- Sobald mindestens eine Person im Unternehmen beschäftigt ist
- Wenn neue Arbeitsmittel oder Stoffe eingeführt werden.
- Wenn sich Verkehrs-/Arbeitsbereiche oder Tätigkeitsabläufe ändern.
- Wenn es zu Arbeitsunfällen im Betrieb oder Berufskrankheiten kommt.
Bei der Gefährdungsbeurteilung muss für jeden Arbeitsplatz eine eigene Analyse erfolgen. Gleichartige Tätigkeiten dürfen jedoch zusammengelegt werden. So kann z. B. im Einzelhandel die Leitmerkmalmethode Manuelle Arbeitsprozesse sowohl für die Beurteilung von Kassierern als auch für die Beurteilungen von Beschäftigten, die die Regale auffüllen, genutzt werden (→ zwei unterschiedliche Tätigkeiten, aber gemeinsame Belastungsart).
Darüber hinaus bieten sich Leitmerkmalmethoden an, wenn eine Betriebsbegehung oder Arbeitsmittelprüfung ansteht oder die Arbeitsschutzorganisation im Betrieb (um)gestaltet werden soll.
Warum sind Leitmerkmalmethoden sinnvoll?
Die Leitmerkmalmethoden sind sinnvoll, weil sie Arbeitgeber und Sicherheitsverantwortliche dabei unterstützen, unterschiedlichen gesetzlichen Pflichten nachzukommen. Da wäre z.B. die generelle Sorgfaltspflicht gegenüber den Beschäftigten, ihre Gesundheit und ihr Leben zu schützen. Mit der passenden Leitmerkmalmethode lässt sich bestimmen, welcher Belastungshöhe die Beschäftigten ausgesetzt sind. Mit diesen Erkenntnissen kann der Arbeitgeber passende Maßnahmen zur Prävention festlegen, die ihm bei seiner Sorgfaltspflicht helfen.
Aber auch zur Betriebsbegehung, Arbeitsmittelprüfung und Gefährdungsbeurteilung sind Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet. So schreiben gesetzliche Vorschriften wie das Arbeitsschutzgesetz, die Betriebssicherheitsverordnung, ASR V3 „Gefährdungsbeurteilung“ oder das Mutterschutzgesetz eine Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung für Arbeitgeber vor.
Die Arbeit, die dadurch auf Unternehmen zukommt, können sie sich nicht nur mit den Leitmerkmalmethoden vereinfachen. Auch die „Prüf- und Dokumentationsmappe: Gefährdungsbeurteilungen“ spart Zeit und Arbeit bei der Erstellung der Analysen. Sie enthält bereits fertige Muster für unterschiedlichste Gefahrenquellen, etwa für physische Gefährdungen, wie sie in den Leitmerkmalmethoden enthalten sind.
Kommt bei Verwendung der Leitmerkmalmethode heraus, dass der Arbeitgeber weitere Schutzmaßnahmen treffen muss, hilft ihm das „Sicherheitshandbuch Arbeitsschutz“. Mit seinen Vorlagen erledigt sich das Erstellen und Dokumentieren der Maßnahmen im Handumdrehen.
Wer führt die Leitmerkmalmethode durch?
Die Leitmerkmalmethode kann entweder vom Arbeitgeber oder von anderen Personen durchgeführt werden, die vom ihm benannt wurden. Sie sollten in jedem Fall zuverlässig sein und die nötige Fachkunde mitbringen. Daher eignet sich z. B. die Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sifa) oder ggf. der Sicherheitsbeauftragte (SiBe). Allerdings behält der Arbeitgeber immer die rechtliche Verantwortung, auch wenn er seine Aufgaben in diesem Bereich abgibt.
Unabhängig davon, wer die Leitmerkmalmethode durchführt – unsere Vorlagenmappen und Handbücher unterstützen alle Verantwortlichen im Arbeitsschutz!
Quellen: „Praxishandbuch: "Die neue Betriebssicherheitsverordnung“, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)