Expertenstandard Dekubitusprophylaxe: Aktuelle Fassung, Maßnahmen und Implementierung

03.06.2025 | T. Reddel – Online-Redaktion, FORUM VERLAG HERKERT GMBH

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In allen Einrichtungen des Gesundheitswesens gibt es druckgefährdete Patientinnen und Patienten. Um das Auftreten eines Dekubitus zu verhindern, sind entsprechende Vorsorgemaßnahmen notwendig. Der Expertenstandard Dekubitusprophylaxe definiert entsprechende Qualitätskriterien, die den Pflegeeinrichtungen und ihren Angestellten im Alltag Orientierung bieten.

 

Inhaltsverzeichnis

  1. Was ist der Expertenstandard Dekubitusprophylaxe?
  2. Aktuelle Fassung
  3. Zielsetzung des Expertenstandards
  4. Risikofaktoren eines Dekubitus
  5. Vorbeugende Maßnahmen
  6. Standardkriterien für Pflegekräfte und Einrichtungen

Was ist der Expertenstandard Dekubitusprophylaxe? – Definition

Der Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ beschreibt Qualitätskriterien und Audit-Instrumente, um Druckgeschwüre (Dekubitus) zu vermeiden. Dabei wird die Haut oder das darunterliegende Gewebe in der Regel durch zu hohen Druck bei Immobilität oder in Kombination mit Scherkräften geschädigt. Der Standard wird vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) veröffentlicht und war im Jahr 1998 der erste Expertenstandard, der je entwickelt wurde.

Dass das Thema Dekubitus so frühzeitig angegangen wurde, lässt sich unter anderem anhand folgender Punkte begründen:

  • Starke Beeinträchtigung der Betroffenen: Dekubitus gehören zu den schwerwiegendsten Gesundheitsproblemen und verschlechtern die Lebensqualität der Betroffenen massiv.
  • Hohe Kosten für Dekubitustherapie: Die Behandlung von Dekubitus verursacht in Deutschland jährlich Kosten in Höhe von über drei Milliarden Euro. Mithilfe einer Dekubitusprophylaxe lassen sich diese Kosten erheblich reduzieren.
  • Hohe Erfolgschance der Prophylaxe: Mehrere Untersuchungen zeigen, dass prophylaktische Maßnahmen das Auftreten eines Dekubitus in den meisten Fällen verhindern können.
Für eine umfassende Dekubitusprophylaxe definiert der Expertenstandard spezielle Struktur-, Prozess- und Ergebniskriterien. Sie richten sich vorrangig an die beteiligten Pflegekräfte und die Einrichtungsleitung und sollen ein einheitliches Qualitätsniveau bei der Dekubitusvorsorge ermöglichen.

Expertenstandard Dekubitusprophylaxe aktuell

Die derzeit aktuellste Fassung des Expertenstandard Dekubitusprophylaxe ist die zweite Aktualisierung aus dem Jahr 2017. Die ursprüngliche Entwicklung begann 1998. Eine erste Implementierung folgte 2000, bevor 2001 deren Ergebnisse vorgestellt und diskutiert wurden. Später gab es zwei Aktualisierungen in den Jahren 2010 und 2017 sowie ein ergänzendes Praxisprojekt von Juni bis Dezember 2017.

Wann wurde der Expertenstandard Dekubitusprophylaxe aktualisiert?

Die letzte Fassung des Expertenstandards wurde 2016 überarbeitet und im Juni 2017 als aktualisierte Version veröffentlicht. Darin berücksichtigten die Verfassenden neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungsergebnisse zur Dekubitusprophylaxe. So wurden insbesondere die Standardkriterien überarbeitet.

Wie viele Fassungen des Expertenstandard Dekubitusprophylaxe gibt es?

Stand Juni 2025 gibt es drei grundlegende Fassungen des Expertenstandard Dekubitusprophylaxe, einen Sonderdruck und eine erweiterte Auflage.

So ergibt sich folgende Publikationsübersicht:

Veröffentlichungsjahr Dokument
2000 Sonderdruck zur erstmaligen Implementierung
2002 1. Auflage (abschließende Veröffentlichung)
2004 2. Auflage mit aktualisierter Literaturstudie
2010 1. Aktualisierung
2017 2. Aktualisierung
2019 Projektbericht und Ergebnisse zur zweiten Aktualisierung

Begleitet werden alle Fassungen von einer zentralen Zielsetzung.

Welche Zielsetzung wird im Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege beschrieben?

Das oberste Ziel des Expertenstandards ist es, allen dekubitusgefährdeten Patientinnen und Patienten eine geeignete Prophylaxe zu ermöglichen, um Dekubitus vorzubeugen.

Hinweis: Diese Zielsetzung kann nicht für alle Pflegebedürftigen ausgesprochen werden. Denn bei einigen Betroffenen lassen sich die vorbeugenden Maßnahmen aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht konsequent durchführen. Das gilt beispielsweise bei lebensbedrohlichen Zuständen oder wenn die Durchblutung trotz der Einnahme zentralisierender Medikamente gravierend gestört ist.

Dennoch soll die Pflege mithilfe des Expertenstandards Dekubitusprophylaxe folgende Aufgaben erfüllen:

  • Für eine berufsgruppen- und sektorenübergreifende Versorgung der Pflegebedürftigen sorgen.
  • Neben den Betroffenen auch deren Angehörige und Hilfskräfte an der Pflege beteiligen.
  • Im Rahmen der Verantwortlichkeit Aufgaben von Pflegefachkräften an Pflegehilfskräfte delegieren.
  • Sinnvoll eingesetzte Hilfsmittel und Technik zur Dekubitusprophylaxe nutzen.
  • Den Pflegebedürftigen die erforderliche Förderung, Anleitung und Unterstützung bei der körpereigenen Bewegung bieten.
→ Auch wenn bei einer Person nicht alle Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe genutzt werden können, gilt: Die Pflegekräfte und ihre Einrichtung müssen alles Mögliche für die Betroffenen tun und dies prozesshaft durch die entsprechende Dokumentation nachweisen.

Welche Zielgruppen werden im Expertenstandard Dekubitusprophylaxe aufgeführt?

Der Expertenstandard richtet sich an alle Angestellten der Alten-, Gesundheits- und Kranken- sowie Kinderkrankenpflege. Die Pflegefachkräfte kümmern sich um den Erwerb des nötigen Wissens, dessen Umsetzung in der Praxis und die Dokumentation ihrer Maßnahmen. Gleichzeitig sind die Betriebsleitung und das Pflegemanagement dafür verantwortlich, dieses Wissen sowie geeignete Hilfsmittel und Materialien bereitzustellen, um den Standard in ihrer Einrichtung umsetzen zu können.

Somit sind sowohl die Pflegekräfte als auch die Einrichtungsleitung und andere Verantwortliche der Führungsebene für die Implementierung des Expertenstandard Dekubitusprophylaxe zuständig.

Mögliche Risikofaktoren eines Dekubitus

Ein Dekubitus entsteht vor allem durch eingeschränkte Aktivität und Mobilität der Betroffenen. Auch vermehrt mechanische Belastungen können, je nach Dauer und Stärke der einwirkenden Kräfte, einen Dekubitus begünstigen. Hinzu kommen verhaltensbedingte Risikofaktoren wie Rauchen oder die Einnahme bestimmter Medikamente wie Katecholamine.

→ Details zu den Risikofaktoren und dem Krankheitsbild Dekubitus im Allgemeinen liefert der Beitrag „Dekubitus – Definition, Risikoerfassung und Dekubitusgrade“.

Maßnahmen zur Vorbeugung

Grundsätzlich fokussiert der Expertenstandard alle pflegerischen Maßnahmen, die zu einer Druckumverteilung führen. Dazu gehört insbesondere die aktive und passive Bewegungsförderung.

Mögliche beispielhafte Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe sind:

  • Regelmäßige körperliche Bewegung und/oder Freilagerung gefährdeter Körperstellen
  • Vergrößerung der Auflagefläche durch spezielle Auflagesysteme oder Matratzen
  • Zusätzliche Lagerungsmaßnahmen
  • Mikro- und Makrobewegungen zur Druckentlastung
  • Maßnahmen der aktivierenden Pflege (nach dem Motto „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“)
  • Einsatz von Bobath- und Kinästhetik
→ Ausführlichere Vorsorgemöglichkeiten enthält der Beitrag „Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe: Hautpflege, Lagerung und Ernährung“.

Standardkriterien und Anwendungstipps

Der Expertenstandard Dekubitusprophylaxe besteht aus je sechs Kriterien in den Bereichen der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Die einzelnen Ebenen bauen aufeinander auf. So ergibt sich das Ergebniskriterium E1 beispielsweise durch die zuvor erfüllten Struktur- und Prozesskriterien S1 und P1.

Im Folgenden ein Überblick der verschiedenen Kriterien inklusive Empfehlungen für die Praxis:

Strukturkriterien
S1 Pflegefachkraft besitzt aktuelles Fachwissen zur Dekubitusentstehung (Pathogenese und Ätiologie) und kann das Entstehungsrisiko einschätzen.

S2a

S2b

Pflegefachkraft besitzt die nötige die Planungs- und Steuerungskompetenz zur Dekubitusprophylaxe.

Einrichtung nutzt eine Verfahrensregelung zur Dekubitusprophylaxe.

S3a

S3b

Pflegefachkraft kann die Betroffenen und ihre Angehörigen informieren, schulen und beraten hinsichtlich Bewegungsförderung, Hautbeobachtung und Druckentlastung.
Gefährdete Pflegebedürftige erhalten unverzüglich nach der Risikoerkennung eine Prophylaxe durch Druckentlastung oder druckverteilende Hilfsmittel.

Einrichtung stellt das erforderliche Informations- und Schulungsmaterial zu den oben genannten Themen bereit. 
→ Material ist entweder direkt vorrätig oder kann unverzüglich beschafft werden.

S4 Pflegefachkraft kennt druckentlastende und die Eigenbewegung fördernde Maßnahmen. Sie kann gegenüber den Betroffenen und ihren Angehörigen haut- und gewebeschonende Bewegungs-, Positionierungs- und Transfertechniken anwenden.

S5a

S5b

Pflegefachkraft kann durch fortlaufende Prophylaxe beurteilen, ob druckverteilende und -entlastende Hilfsmittel erforderlich und geeignet sind. Sie weiß, wie sie die Hilfsmittel einsetzen muss.

Einrichtung sorgt dafür, dass jederzeit passende Wechseldruck- und Weichlagerungssysteme für die Patientinnen und Patienten bereitstehen.
→ Hausinterne Verfahrensregelung zur Koordinationsverantwortung und multidisziplinären Zusammenarbeit sinnvoll.
→ Einrichtung sollte berufsgruppen- und sektorenübergreifende Schulungen zu druckentlastenden und druckverteilenden Maßnahmen durchführen.

S6a

S6b

Pflegefachkraft kann die Effektivität der prophylaktischen Maßnahmen beurteilen.
→ Ziel der Maßnahmen: Vermeidung eines Dekubitus.
→ Sichere Anwendung der Hautinspektion und Dokumentation der Dekubitusdiagnostik.

Einrichtung stellt Ressourcen zur Erfassung von Dekubitus und zur Bewertung der Prophylaxe bereit.
→ Näheres zur Wundbeurteilung und weiteren Risikoeinschätzung gibt es im Expertenstandard chronische Wunden.

Prozesskriterien
P1 Pflegefachkraft schätzt bei Aufnahme einer Patientin oder eines Patienten das Dekubitusrisiko ein (initiales Screening) und beurteilt es bei Bedarf differenzierter.
→ Wiederholung der Einschätzung nach individuell definierten Abständen sowie unverzüglich bei Veränderungen der Mobilität oder externer Einflussfaktoren.
→ Vorbeugende Maßnahmen bei der Pflegevisite und/oder Prüfung der Dokumentation ebenfalls prüfen.
P2 Pflegefachkraft plant mit der dekubitusgefährdeten Person und ihren Angehörigen künftige Vorsorgemaßnahmen. Außerdem informiert sie andere Fachbeteiligte über das Dekubitusrisiko und fortzuführende Interventionen.
→ Vorhandenen Lagerungsplan nutzen und gemäß der besprochenen Zeitabstände die betroffene Person regelmäßig lagern.
P3 Pflegefachkraft erklärt den Betroffenen und ihren Angehörigen die vorhandene Dekubitusgefährdung, wie prophylaktische Maßnahmen durchzuführen sind und wie sie am Ende evaluiert werden.
P4 Pflegefachkraft fördert die Eigenbewegung der Betroffenen soweit wie möglich. Andernfalls sofortige Druckentlastung nach dem persönlichen Plan zur Bewegungsförderung.
P5 Pflegefachkraft nutzt bei Bedarf neben druckentlastenden Maßnahmen noch geeignete Hilfsmittel und sorgt dafür, dass diese zur Verfügung stehen.
P6 Pflegefachkraft untersucht den Hautzustand der Betroffenen am gesamten Körper in vorab definierten Zeitabständen, vor allem an besonders gefährdeten Körperstellen.
Ergebniskriterien
E1 Es gibt eine aktuelle, systematische Einschätzung des individuellen Dekubitusrisikos.
→ Besteht ein Dekubitusrisiko? Welche Risikofaktoren wurden wie festgestellt?
E2 Alle an der Versorgung beteiligten Fachkräfte kennen die Dekubitusgefahr und die erforderlichen Maßnahmen.
→ Individuellen Bewegungsförderungsplan nutzen.
E3 Auch die Betroffenen und ihre Angehörigen kennen das Dekubitusrisiko und die nötigen Maßnahmen. Sie unterstützen bei der Umsetzung.
→ Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen beachten.
E4 Eigenbewegung der Betroffenen wird gefördert und gefährdete Körperstellen werden entlastet.
→ Pflegekräfte animieren die Patientin/den Patienten, Dinge des Alltags nach Möglichkeit selbst durchzuführen.
E5 Betroffene befinden sich unverzüglich auf einem für sie geeigneten druckverteilenden und -entlastenden Hilfsmittel.
→ Individuelle Auswahl der Hilfsmittel je nach Grad der Mobilität und Aktivität, Größe und Gewicht der Person.

E6a

E6b

Das Entstehen eines Dekubitus konnte verhindert werden.

Die Einrichtung verfügt über Zahlen zur Dekubitushäufigkeit und zur Wirksamkeit der Prophylaxe.
Pflegefachkraft hat die notwendigen Informationen an die Sektionen/Bereiche weitergegeben.

Produktempfehlungen

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Quellen: Software „Pflege- und Expertenstandards auf CD-ROM“, Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“